Plädoyer für selbstbewusste und lebendige Hochschulen

Der Geist der zur Diskussion gestellten Novellierung des Niedersächsischen Hochschulgesetztes (NHG) ist für die Hochschulen ebenso wie schon das NHG in der derzeit gültigen Fassung völlig indiskutabel.

 

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Home Kolumne 300 Neonazis - sich als Kinderschützer rühmend - stehen 500 friedlichen Gegendemonstranten gegenüber

300 Neonazis - sich als Kinderschützer rühmend - stehen 500 friedlichen Gegendemonstranten gegenüber

Wetzlar im Ausnahmezustand. Samstag, den 11.10.2008

 
Am 11. Oktober 2008 zogen 300 gewaltbereite Neonazis durch Wetzlar, um gegen Kindesmissbrauch zu demonstrieren. Die beabsichtigte Route durch die Bahnhofstraße über den Karl-Kellner-Ring bis zur Langgasse konnten sie nicht nehmen, weil diese Wegführung von friedlichen Demonstranten blockiert wurde.
 
Im Vorfeld war die Demonstration der Neonazis schon heftig unter Beschuss. In einem beispielhaften Schulterschluss hatten sich Persönlichkeiten aus allen gesellschaftlichen Gruppen zu dieser Demonstration öffentlich geäußert: Alle hatten sich eindeutig gegen diese rechte Geiselnahme des wichtigen Themas Kinderschutz positioniert.
 
Ein überparteiliches Bündnis hatte sich zusammengefunden und zu einer friedlichen Gegendemonstration aufgerufen. Gudrun Geißler, die beherzte Vorsitzende des Kinderschutzbundes, war Hauptrednerin. Sie stellte heraus, wie wichtig es ist, gegen Kindesmissbrauch zu Felde zu ziehen. Sie ließ aber auch keinen Zweifel daran, dass das kein Thema für Neonazis sei. Gewaltübergriffe von Neonazis an Kindern zeigen, dass sich hier die falschen Pharisäer als Anwälte der Kinder aufspielen wollen. Das Thema Kindermissbrauch werde von den rechten Gruppierungen zu Propagandazwecken missbraucht. Dazu sei das Thema aber viel zu wichtig.
 
Dann zogen mehrere hundert Gegendemonstranten in die Eduard-Kaiser-Straße, die durch die Polizei blockiert wurde. Die Gruppe bewegte sich danach unter Führung von Ernst Richter vom Deutschen Gewerkschaftsbund in Richtung Forum. Hier trafen die friedlichen Demonstranten auf eine Gruppe weitgehend schwarz gekleideter Jugendlicher aus dem linken Spektrum, darunter auch einige gewaltbereite Jugendliche. Nach Verhandlungen mit der Polizei bewegte sich später die gesamte Gruppe zum Buderusplatz. Aber entgegen des Vorschlages der Polizei, in die Brückenstraße abzubiegen, verharrten die Demonstranten auf dem Buderusplatz, um so zu verhindern, das die Neonazis prominente Straßen und Plätze Wetzlars in Beschlag nehmen konnten.
 
Dank Ernst Richter, Rechtsanwalt Walter Woeller und der Polizei war die Gegendemonstration am Buderusplatz zu jedem Zeitpunkt friedlich und unter Kontrolle. Gudrun Geißler und ich holten Gebäck aus dem angrenzenden Müller Drogeriemarkt und verteilten diese als „Friedensplätzchen“ an die Demonstranten und Polizisten, um so einen Beitrag zur weiteren De-Eskalation zu leisten. Gegen 14 Uhr wurde die friedliche Kundgebung beendet und die Menschenmenge von mehreren hundert Teilnehmern löste sich problemlos unter Aufsicht der sie Mann an Mann umstellenden geschlossenen Polizeikette auf.
 
Gleicher Zeitpunkt, anderer Ort. Nicht 30 Neonazis –wie es auf dem Buderusplatz kursierte- waren vom Zollamt hinter dem Bahnhof über den Gloel-Knoten in die Bannstraße über die Sophienstraße an der Hauptpost vorbei in die Waldschmidtstraße los gezogen, sondern 300 derer. Kein Problem war es, sich der Gruppe von hinten zu nähern, die inzwischen den Neustädter Platz zu einer Kundgebung erreicht hatte. Wer die hohe Polizeipräsenz am Buderusplatz gesehen hatte, der konnte angesichts der handvoll Polizisten, die die Neonazi-Demonstration begleiteten, aus dem Staunen nicht mehr heraus kommen. Es hätte nur eines kleinen Anstoßes bedurft und die Situation wäre eskaliert und für die wenigen Polizisten nicht mehr beherrschbar gewesen. Für mich, der angesichts der großen Öffentlichkeit der Eintra-gung seiner homosexuellen Lebenspartnerschaft vor wenigen Wochen auch für die Braunen identifizierbar ist und der den Zug mit größter inhaltlicher Distanz, aber in räumlicher Nähe verfolgte, kein beruhigendes Gefühl.
 
Besonders die neue Route für die braune Brut war ein Schlag ins Gesicht unserer ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die ganz wesentlich zum Wohlstand der Stadt beigetragen haben. Vor ihren Wohnungen, die für jeden Menschen Schutz und Rückzugsmöglichkeit bedeuten sollte, skandierte der braune Mob seine Thesen und wehte mit NPD Fahnen vor deren Wohnzimmern. Es ist sarkastisch darauf stolz zu sein, dass der braune Zug nicht über die Wetzlarer Prachtstraßen flanieren konnte, wo er stattdessen im Bannviertel quasi durch die Wohnungen derer zog, die die erklärten Feinde der Neonazis sind.
 
Inwieweit die örtliche Polizei überhaupt einbezogen war, ist nicht ersichtlich. Diese hätte aber auf jeden Fall darauf hinzuweisen müssen, dass der Neonazizug durch das Bannviertel eine so starke Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt, dass ein Abbruch der Neonazidemonstration gerechtfertigt gewesen wäre.
 
Bis kurz vorm Gloelknoten wurde die Polizeipräsenz wieder gesteigert, bis auf dem Verkehrsknotenpunkt die Situation in kriegsähnliche Zuständen zu eskalierte. Links die Rechten und umgekehrt. In der Mitte ein Wasserwerfer umringt von dutzenden von Polizisten. Hunderte von Polizisten, die beide Seiten umzingelten und von einander abschotteten.
 
Die Neonazis hoben immer wieder mit ihren Parolen an, die aber von mutigen Passanten mit „Nazis raus“ unterbrochen wurden. Quasi unter Polizeischutz wurde der braune Zug der „Kameradinnen und Kameraden“, die sich schon zwischendurch bitte „in Viererreihen aufstellen mögen“ unter Führung all derer, die in der rechten Szene Rang und Namen haben, über die Hochbrücke zurück auf den hinteren Teil des Bahnhofs geführt, wo deren Abzug von den vom Forum aus zuschauenden Passanten mit Genugtuung quittiert wurde.
 
Den Neonazis kam es darauf an, nach langer Abstinenz mal wieder auf unseren Straßen Präsenz zu zeigen. Das ist den Neonazis gelungen. Der „Wolf im Schafspelz“, so Ernst Richter, hat sich mit Krawallen zurückgehalten. Bei den nächsten „Kundgebungen“, wenn andere Städte diese nicht beherzter verhindern können, wird die braune Brut stärker ihr wahres Gesicht zeigen.
 
Nur am Rande: eine schwangere Neonazifrau bekam gesundheitliche Probleme. Wer half? – Ein türkischer Arzt, der seine Praxis unmittelbar an der Wegführung der Neonazis hatte.
 
Wie viel Ideenreichtum hätte man entwickeln können, um die Genehmigung einer so schlecht getarnten braunen und damit menschenverachtenden Demonstration verhindern zu können! Hätte man den Antrag zögerlich bearbeitet, hätte eine Dienstaufsichtsbeschwerde wegen Untätigkeit nicht zur Ehre gereicht? Oder: wenn man den Antrag abgelehnt hätte und wäre vielleicht von Antidemokraten vor das Verwaltungsgericht von Antidemokraten gezerrt worden, wäre dies nicht den Versuch wert gewesen? Selbst noch am Tag der Demonstration hätte man die Gefährdung der öffentlichen Ordnung anführen können, um zu verhindern – wie dies erfolgreich in anderen Städten gelungen ist - dass die Saat des Hasses aufgeht und das Wehen brauner Fahnen auf Wetzlars Straßen hätte ermöglicht wird.
 
Wetzlar ist Goethe- und Optikstadt, mit Handballbundesligisten HSG Wetzlar und Basketballrollstuhlbundesligisten Rollis (die sich übrigens beide sehr vorbildlich gegen diese rechte Demonstration ausgesprochen haben) Stadt des Sports, Kulturstadt und vieles andere mehr. Wetzlar ist aber auch wie die Ereignisse der letzten Wochen zeigen, Stadt der Toleranz. Für wehrhafte Demokraten in Unterschied zu Sofademokraten besteht die Herausforderung darin, tolerant nicht mit toleralala zu verwechseln.
 
Professor Dr.-Ing. Jürgen Erbach